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Islamische Mystik


Jasmina

Empfohlene Beiträge

As Salamu 3aleikum,

 

Teil 1

 

 

Islamische Mystik

 

 

Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen

 

 

Mystik ist das Bewusstsein der einen Wirklichkeit, das wie ein Strom alle religiösen Traditionen durchzieht. Mystiker aller Zeiten erhoben sich aus den Banden abgrenzender Religionsauslegung, um religiöse Inhalte und Formen zu transzendieren: Von äußerer Vielfalt gelangten sie zur inneren Einheit alles Religiösen. Deshalb war und ist auf mystischer Ebene immer ein Austausch zwischen den Anhängern verschiedener Religionen möglich und fruchtbar.

Die Mystik (arab. Irfan) ist integraler Bestandteil des Islam, denn Religion ohne Verinnerlichung wäre wie eine leere Hülse. Die mystische Erkenntnis reicht vom esoterischen Aspekt der quranischen Offenbarungen zu den illuminativen Lehren des Propheten Muhammad (sas) und der Imame und spirituellen Führer über die ekstatischen Verse der früheren Liebesmystiker bis zu den theosophischen Systemen späterer Sufis und den zauberhaften Rosengärten persisch-mystischer Dichtung.

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Teil 2

 

Unbeschreibbare Wirklichkeit

 

Doch das Ausmaß des Themas ist nur eine Schwierigkeit: „Worte bleiben an der Küste“, lautet ein altes Sprichwort der Sufis. Jene Wirklichkeit, die alle Mystiker bezeugen, kann nicht durch das Studium von Büchern, sondern nur existentiell erfahren werden. Mystische Erfahrung lässt sich nicht durch den Verstand vermitteln, bloße Worte sind dafür einfach zu eng. Der berühmte „Märtyrer der mystischen Liebe“, al Hallaj, vergleicht die Stufen mystischer Erkenntnis mit dem Schicksal des Schmetterlings: „Wenn der Falter das Licht der Kerze wahrnimmt, erreicht er die Stufe des sicheren Wissens (ilm al yaqin), spürt er ihre Hitze, gelangt er zur Schau der Gewißheit (ayn al yaqin) und wird er schließlich von der Flamme verzehrt, erreicht er „haqq al yaqin“, die absolute Gewissheit.“

Über dieselbe, letztendlich unbeschreibliche Grunderfahrung meint Ahmad Ghazali (gest. 1126), der jüngere Bruder des berühmten Abu Hamid Ghazali, in seinen Gedanken über die (mystische) Liebe: „Die äußerste Grenze des Wissen ist das Ufer der Liebe. Wenn das Wissen am Ufer steht, wird es von der Liebe noch gerade berichten können. Schreitet es aber weiter voran, dann ertrinkt es. Wie sollt es dann Kunde darüber geben könne, und wie sollte ein Ertrunkener Wissen besitzen?“

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Teil 3

 

Selbsterkenntnis – Erkennen Gottes?

 

Der Weg zur jener höheren Erkenntnis (ma’rifa) der Wirklichkeit verläuft in zweierlei Hinsicht: Selbsterkenntnis des Geschöpfes und Erkenntnis des Schöpfers. Ein bekannter Ausspruch des Imam Ali ibn Abu Talib, der allgemein als erste spirituelle Autorität nach dem Prophet angesehen wird, lautet: „Wer sich selbst erkannt hat, der hat auch seinen Herrn erkannt!“ Selbsterkenntnis enthüllt den letzten Grund des Daseins und lässt jegliche Anhaftung an das Ego schwinden. „Denn wer sich selbst und seinen Herrn erkannt hat, der weiß mit Gewissheit, dass er kein Dasein von sich selber hat, sondern dass sein Dasein und die Enthaltung und Vollkommenheit seines Daseins von Gott und zu Gott und durch Gott ist“, erklärt Abu Hamid Ghazali in seinem „Elixier der Glückseligkeit“. Am Ende seiner mystischen Reise gelangt der Arif (wörtlich: Erkenner) schließlich zu „jener Wahrheit, die das Ich sterben lässt, um es für die (göttliche) Wirklichkeit zu erwecken“, sagt der Führer der Bagdader Mystikerschule Junaid in Fariduddin Atars Hagiographie (tadhkirat al awliya, II, S. 35).

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Teil 4

Historische Entwicklung

 

Irfan (Erkenntnis, Gnosis) ist die Erkenntnis der absoluten Wirklichkeit, und somit der wahre Geist des Islam. Schon der Quran und die Überlieferungen des Propheten und seiner Familienangehörigen (ahl-ul-bayt) und treuen Gefährten (ashab) bezeugen, dass von Anfang an eine untrennbare Verbindung von Mystik und der islamischen Botschaft bestand. Zahlreiche frühe Schriften wie die „Nahjul Balagha“ mit den Reden, Briefen und Aussprüchen Imam Alis (as) und die Gebetssammlung seines Sohnes Imam Sajjads (as, Sahifa al-kamilah) sind bedeutende Quellen mystischer Erkenntnis, die leider in europäischen Sprachen so gut wie keinen Niederschlag gefunden haben. In seinem zehnbändigen arabischen mit dem poetischen Titel „Der Schmuck der Heiligen (hilyatul awliya) hat Abu Nu’aim al Isfahani die Worte und Taten der ersten spirituellen Führer im Islam festgehalten. Sie verkündeten noch den ganzheitlichen Aspekt des Islam und schufen somit keine Trennung zwischen Innerem und Äußerem oder Mystik und Gesetz.

Doch schon bald wurden die Einheitsbekenner in immer stärkerem Maße von der weltlich orientierten Staatspolitik der herrschenden Dynastien bedrängt und nahmen Zuflucht in der Mystik. Zahlreiche bedeutende Sufis traten auf, u.a. Hassan Basri (gest. 728), Dhun-Nun al Misri (gest. 859), Bayezid Bistami (gest. 874), Mansur al Hallaj (hing. 922), Abdullah-i Ansari (gest. 874), Abu Hamid Ghazali (gest. 1111), Shihabuddin Suhrawardi (getötet 1191), Fariduddin Attar (gest. 1220), Muhyiuddin fiz Shirazi (gest. 1389), Abdur Rahman Jami (gest. 1492) und viele andere. Sie alle sind aus der islamischen Geschichte und Literatur nicht wegzudenken.

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Teil 5

 

Begriffsbestimmung

 

Häufig wird für die islamische Mystik auch der Begriff Sufismus (arab. Tasawwuf) gebraucht. In seiner „Enthüllung der Schleier“ (kashf al mahjub) hält der bekannte Mystiker des indo-pakistanischen Subkontinents Hujwiri (gest. 1071) die verschiedenen Bedeutungen des Begriffes Sufi fest: „Einige sagen, der Sufi werde so genannt, weil er ein wollenes Gewand (suf) trägt; andere, weil er in der ersten Rehef (saff) steht, andere wieder, weil sich die Sufis zu den Leuten der Veranda (suffa) zählten, die sich in Medina um den Propheten scharten; und wieder andere erklären, der Name sei von Reinheit (safa) abgeleitet.“

Allgemein wird heute die Ableitung von der arabischen Wurzel suf (Wolle) akzeptiert, da die frühen Sufis das grobe Wollgewand als eine Art Erkennungszeichen für ihre asketische Lebensweise trugen. Doch, so bemerkt der Führer der Bagdader Mystikerschule Junaid, „bewirkt das Wollkleid gar wenig, allein das Feuer des Herzens zählt!“

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Teil 6

Das Einheitsbekenntnis

 

Der Mensch gilt nach quranischer Auffassung als Stellvertreter Gottes auf Erden, dem der göttliche Geist eingehaucht wurde. Das innerste Wesen des Menschen weiß von der Existenz Gottes, wenn gleich dieses Wissen von den Verblendungen des irdischen Lebens oft getrübt und überlagert wird.

Ein Mensch, der die Nähe Gottes anstrebt, wird in allen Dingen die eine Wahrheit erkennen, die ihm "näher ist als seine eigene Halsschlagader" (Sura 50 Vers 16). So ziehen alle mystischen Praktiken auch auf die Verinnerlichung des Glaubensbekenntnisses der Einheit (tauhid), das Abu Hamid Ghazali in vier Grade unterteilt:

· "Erster Grad: Der Menschen sagt mit seiner Zunge: Es gibt keine Gottheit außer Gott, während sein Herz diese ablehnt, wie wenn Heuchler die Einheit bekennen.

· Zweiter Grad: Sein Herz hält das Ausgesprochene für wahr, wie es alle Rechtgläubigen für wahr halten.

· Dritter Grad: Er sieht viele Dinge, sieht sie aber trotz ihrer Vielfalt von dem Einen ausgehen.

· Vierter Grad: Er sieht im Sein nur noch Einen. Er sieht das Ganze nicht, insofern es vieles, sondern insofern es Eines ist." (Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften, IV, S. 240)

 

 

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Teil 7

Der mystische Pfad

 

Die Schritte, die zu diesem Einheitsbewusstsein führen, werden als Weg beschrieben, der sowohl die breite Straße des religiösen Gesetzes (scharia) als auch den mystischen Pfad (tariqa) umfasst. Das Gesetz wird mit einer Nussschale verglichen, deren Kern der mystische Pfad und das Öl die eine Wirklichkeit verkörpern. Die Schale allein ist wertlos, allein auf den Kern kommt es an, wenngleich auch dieser ohne schützende Schale verderben würde.

Alle großen islamischen Mystiker befolgten die sittlichen Normen des religiösen Gesetzes in gleichem Maße, wie sie ihr Herz dem Göttlichen widmeten. Von Maulana Jalaluddin Rumi wird berichtet, dass er selbst noch in seinem ekstatischen Wirbeltanz religiöse Gutachten (fatwas) abgegeben hat. Die Mystiker aller Traditionen sind sich einig, dass die Reise zum Herrn der Macht moralische Qualitäten und innere Stufen (maqamat) voraussetzt, die der Wanderer im Kampf mit seiner Triebseele (Jihad un Nafs) erwirbt. Im Gegensatz zu diesen vom Selbst verwirklichten Stufen der Tugendhaftigkeit handelt es sich bei den sogenannten Zuständen (halat) um göttliche Gnadengeschenke, um etwas, was sich ins Herz des Gottsuchers senkt, ohne dass er es zurückweisen noch festhalten kann. Die Grenzen der Stufen und Zustände sind nicht fest und oft austauschbar, ihre Anzahl schwankt. Abu Nasr al Sarraj erwähnt in seinem wichtigen "Kitab al luma" sieben Stufen:

· Taubah (Reue oder Umkehr von Sünde und Gleichgültigkeit),

· Wara (Entsagung oder Überwindung der Begierden und egoistischen Neigungen),

· Zuhd (Verzicht oder Nichtverhaftetsein an materiellen Dingen),

· Tawakkul (Gottvertrauen oder Konzentration auf die höchste Norm des Seienden),

· Faqr (Armut oder Freiheit vom Besessenwerden durch Besitz),

· Sabr (Geduld oder Standhaftigkeit gegenüber allen Heimsuchungen),

· Rida (Zufriedenheit oder Gleichmut des Herzens und Übereinstimmung mit allen göttlichen Ratschlüsseln).

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„jener Wahrheit, die das Ich sterben lässt, um es für die (göttliche) Wirklichkeit zu erwecken“

 

Salam,

 

einwundervollerSatz.

Danke.

 

Salam

FatimahZahraa

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Teil 8

 

Liebe

 

Mystik ist die „Wissenschaft der Liebe“. Darunter wird keine sentimentale Emotionalität verstanden, sondern die selbstverwirklichte Erkenntnis des Göttlichen. In einem Hadith al-qudsi sagt der Allerbarmer: „Mein Diener nähert sich Mir durch freiwillige Verehrung, bis ich ihn liebe, Und wenn Ich ihn liebe, bin ich das Auge, durch das er sieht, und das Ohr, durch das er hört. Nähert er sich mir eine Spanne, so komm Ich ihm eine Elle entgegen. Und wenn er gehend kommt, so komme ich gelaufen!“ (Kitab al-luma, S. 59). Wenn Gottesliebe (mahabba) das Herz des Wahrheitssuchers beherrscht, dann liebt er alle Geschöpfe Gottes, weil sie Seine Geschöpfe sind. Gottgedenken (dhikr), Meditation (muraqaba) und kontemplative Schau (mushahada) führen den Wanderer immer näher zum Ziel. Das äußerste Ziel ist die Verbindung mit dem Geliebten, das Entwerden (fana) und Bleiben (baqa) in Ihm. Der Wegschreiter erfasst, dass alles außer Gott reines Nichtsein ist. Er lässt sein eigenes Sein hinter sich liegen, damit die Wirklichkeit „Keine Gottheit außer Gott“ zutage tritt.

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As Salamu 3aleikum,

 

 

Freut mich, dass es dir gefällt. Aber ich habe vergessen die Quelle anzugeben; ist leider nicht meiner Feder entsprungen.

 

Quelle: Muslime im Dialog, Imam Redha e.V. Siegen

 

Wa Salam

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#salam#

Assalam Alaikoum,

 

Schöne und interessante Ausschnitte! Möge Allah dich belohnen.

 

O Allah:

Ich bitte Dich, gewähre mir die Liebe zu Dir,

die Liebe zu jedem, der Dich liebt und die Liebe zu jeder Tat,

die mich in Deine Nähe bringt.(Ali Ibnu Hussein(a.s))

 

 

Wassalam!

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  • 1 Jahr später...
As Salamu 3aleikum,

 

 

Freut mich, dass es dir gefällt. Aber ich habe vergessen die Quelle anzugeben; ist leider nicht meiner Feder entsprungen.

 

Quelle: Muslime im Dialog, Imam Redha e.V. Siegen

 

Wa Salam

 

#bismillah# Danke, Schwester Jasmina, es tut gut, diese Dinge hier im Forum so schön zusammengefaßt zu finden! Die wahre Mystik ist nichts Zusätzliches zum Islam, nichts ihm Fremdes, sondern sein Herz, das in jedem Gläubigen schlagen kann. Nicht getrennt von der Sharia, solidarisch mit der Ummah, und ursprünglich eins mit der Shia. Und sie wird sich befreien von ihren falschen Freunden und reinigen von den Verfälschungen, die ihr angedichtet wurden. Inshaallah!

 

Wasalam #blumen#

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  • 3 Monate später...
Teil 8

 

Liebe

 

Mystik ist die „Wissenschaft der Liebe". Darunter wird keine sentimentale Emotionalität verstanden, sondern die selbstverwirklichte Erkenntnis des Göttlichen. In einem Hadith al-qudsi sagt der Allerbarmer: „Mein Diener nähert sich Mir durch freiwillige Verehrung, bis ich ihn liebe, Und wenn Ich ihn liebe, bin ich das Auge, durch das er sieht, und das Ohr, durch das er hört. Nähert er sich mir eine Spanne, so komm Ich ihm eine Elle entgegen. Und wenn er gehend kommt, so komme ich gelaufen!" (Kitab al-luma, S. 59). Wenn Gottesliebe (mahabba) das Herz des Wahrheitssuchers beherrscht, dann liebt er alle Geschöpfe Gottes, weil sie Seine Geschöpfe sind. Gottgedenken (dhikr), Meditation (muraqaba) und kontemplative Schau (mushahada) führen den Wanderer immer näher zum Ziel. Das äußerste Ziel ist die Verbindung mit dem Geliebten, das Entwerden (fana) und Bleiben (baqa) in Ihm. Der Wegschreiter erfasst, dass alles außer Gott reines Nichtsein ist. Er lässt sein eigenes Sein hinter sich liegen, damit die Wirklichkeit „Keine Gottheit außer Gott" zutage tritt.

 

#salam#

Salam alaikum wa rahmatullahi wa barakatu

 

Dieser Hadith ist so aussagekräftig, bedeutsam, wunderschön. Alles zusammen einfach...Subanallah..

 

Möge Allah (s.w.t) Sie reichlich dafür belohnen.

 

Wasalam

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