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Mantiq und moderne Logik


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#bismillah#

#salam#

 

ich interessiere mich für das Thema Logik i.A. und Logik im Islam (= Mantiq) im Besonderen, und möchte dazu hier eine Diskussionsrunde eröffnen, auch mit dem Hinweis auf

 

http://www.shia-forum.de/index.php?/topic/8007-logik-mantiq/

 

Dieser Thread ist allerdings schon einige Jahre alt, deswegen hier ein Neustart.

 

Es gibt viele Fragen zu Mantiq, erste Kurzdefinitionen ließt man schnell nach (z.B. in eslam oder in verlinktem Thread), für mich ergeben sich einige Fragen zum Verhältnis von Mantiq zur modernen Logik im Sinne der Mathematik (und in der Moderne auch im Sinne der theoretischen Informatik):

 

1. Die moderne mathematische Logik - Stichworte: Mengenlehre, Unvollständigkeitssätze, Widerspruchsfreiheit, Festlegung von Axiomen der Logik etc. - hat ganz wesentlich jede Strömung der westlichen Philosophie der Logik beeinflusst. Jahrhundertelang konnte man (im Westen) über Logik philosophieren und publizieren, ohne über modernes mathematisches Wissen zu verfügen - heute ist das undenkbar geworden. Kaum ein Philosoph, der im Feld "Logik" arbeitet, kommt an der Mathematik vorbei. Wie sieht das bei heutigen Wissenschaftlern zur Mantiq aus? Wie werden Ergebnisse der jüngeren Mathematik einbezogen?

 

2. Im oben verlinkten Thread kann man eine vermutlich typische Darstellung von Mantiq (dort: von Scheich Al-Musaffar) nachlesen (nur eine Mutmaßung, da ich mich in der Standardlektüre absolut nicht auskenne). Sie ist sehr einfach gehalten, gut lesbar, aber aus Sicht einer stringenteren Logik m.E. nicht verstehbar. Dies gilt leider für fast jede Hauptaussage, bei Bedarf kann man Beispiele besprechen.

 

In der Mathematik werden zunächst klare Regeln der Logik festgelegt, dies kann auch nur in sehr begrenztem Maße in natürlicher Sprache geschehen, sondern muss der Exaktheit wegen symbolisch abgefasst werden. Dann wird ein System von Anfangsaussagen (Axiome) festgelegt, und mit den Regeln der Logik werden dann neue Aussagen gefolgert. Diese Axiome, ebenso wie die Regeln der Logik, ergeben sich aber nicht zwingend auf eindeutige Weise, im Gegenteil gibt es viele konkurrierende Systeme, die, aus einer ersten logischen Sicht, gleichrangig sind. Beispiel: Weite Teile der modernen Mathematik lassen sich auf ein Axiomensystem von nur zehn Axiomen (genauer: Axiomentypen) zurückführen, es gab und gibt aber auch andere Axiomensysteme, die auch zu anderen Aussagen führen. Die Aussagen der Mathematik sind also allesamt relativ und vom jeweiligen Axiomensystem abhängig (dies nur als grobe Kurzdarstellung).

 

Was sind also die Regeln der Logik und die Axiome in Mantiq - jedenfalls darf man vermutlich nicht behaupten, dass diese auf irgendeine Weise "klar" wären, oder jedem Menschen von Geburt an "eingegeben" wären (wie es einige alte griechische Strömungen behauptet hatten).

 

3. Die erstmal letzte und unwichtigste Frage: Welche Werke werden heutzutage in den großen Schulen in Qum/Nadschaf bevorzugt zur Lehre von Mantiq herangezogen, wie modern sind diese Werke im Bezug auf obige Fragen?

 

Ich hoffe auf eine informative Diskussion.

 

#wasalam#

Huseyin

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#bismillah#

#salam#

 

Ich möchte nur eine Anmerkung machen:

Der Islam bzw. die islamischen Rechtsgelehrten stützen sich auf die traditionellen Logik, die von Aristoteles formuliert wurde. Die islamischen Rechtsgelehrten haben diese Logik weitergeführt und erweitert.

Einige Vertreter der traditionellen bzw. klassischen Logik kritisieren an der modernen Logik das Streben nach Formalisierung und Mathematisierung und das Arbeiten mit einem System von Symbolen mit dazugehörenden Operationsregeln (Logikkalkülen).

Diese mehrwertigen Systeme lassen für Aussagen mehrere Wahrheitswerte als wahr oder falsch zu.

 

 

wassalam

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  • 2 Wochen später...

#bismillah#

Assalamu Alaikum,

 

1. Die moderne mathematische Logik - Stichworte: Mengenlehre, Unvollständigkeitssätze, Widerspruchsfreiheit, Festlegung von Axiomen der Logik etc. - hat ganz wesentlich jede Strömung der westlichen Philosophie der Logik beeinflusst. Jahrhundertelang konnte man (im Westen) über Logik philosophieren und publizieren, ohne über modernes mathematisches Wissen zu verfügen - heute ist das undenkbar geworden. Kaum ein Philosoph, der im Feld "Logik" arbeitet, kommt an der Mathematik vorbei. Wie sieht das bei heutigen Wissenschaftlern zur Mantiq aus? Wie werden Ergebnisse der jüngeren Mathematik einbezogen?

Man soll hier zunächst festlegen, welchen Zweck die Logik verfolgt, damit man weiß, ob es sinnvoll ist, weitere Prinzipien und Mitteln einzuführen oder veraltete Prinzipien und Mitteln raus zu nehmen. Doch zur Rolle der Mathematik kann sicherlich gesagt werden, dass es revolutionäre Denker gab und gibt, die der Mathematik in der Logik eine größere Rolle gaben und geben. Sayyed Muhammad Baqir As-Sadr hat mit seinem Buch, die logischen Grundlagen der Induktion, ein Pionierarbeit geschrieben. In diesem Buch verwendet er die Wahrscheinlichkeitstheorie und daher auch die Mengenlehre. Man muss aber hier gerechterweise sagen, dass die formale klassische Logik die Mengenlehre, die Regeln der Widerspruchsfreiheit sowie die Axiome der Logik bereits untersucht hat auch wenn nicht in der selben Form und der selben Genauigkeit wie die symbolische mathematische Logik. Gleichzeitig muss man drauf achten, die Logik nicht zu einem Teilgebiet der Mathematik zu verwandeln. Im Grunde genommen, sollte die Logik die Mathematik beherrschen und nicht umgekehrt. Denn das Thema der Logik ist das richtige Schlussfolgern. Das Thema der Mathematik ist jedoch die Zahl und die Gesetze, die über sie herrschen. Es mag unter Umständen nicht möglich sein, eine scharfe Trennung zu realisieren aber es sollte stets klar sein, in welchem Umfang die Wechselwirkung stattfindet.

 

2. Im oben verlinkten Thread kann man eine vermutlich typische Darstellung von Mantiq (dort: von Scheich Al-Musaffar) nachlesen (nur eine Mutmaßung, da ich mich in der Standardlektüre absolut nicht auskenne). Sie ist sehr einfach gehalten, gut lesbar, aber aus Sicht einer stringenteren Logik m.E. nicht verstehbar. Dies gilt leider für fast jede Hauptaussage, bei Bedarf kann man Beispiele besprechen.

Im oben verlinkten Thread wurde nur die Einführung des Buches und dies auch teilweise übersetzt. Die wirklichen Definitionen und Sätze, welche den Inhalt der Logik ausmachen wurde jedoch nicht übersetzt.

 

In der Mathematik werden zunächst klare Regeln der Logik festgelegt, dies kann auch nur in sehr begrenztem Maße in natürlicher Sprache geschehen, sondern muss der Exaktheit wegen symbolisch abgefasst werden. Dann wird ein System von Anfangsaussagen (Axiome) festgelegt, und mit den Regeln der Logik werden dann neue Aussagen gefolgert. Diese Axiome, ebenso wie die Regeln der Logik, ergeben sich aber nicht zwingend auf eindeutige Weise, im Gegenteil gibt es viele konkurrierende Systeme, die, aus einer ersten logischen Sicht, gleichrangig sind. Beispiel: Weite Teile der modernen Mathematik lassen sich auf ein Axiomensystem von nur zehn Axiomen (genauer: Axiomentypen) zurückführen, es gab und gibt aber auch andere Axiomensysteme, die auch zu anderen Aussagen führen. Die Aussagen der Mathematik sind also allesamt relativ und vom jeweiligen Axiomensystem abhängig (dies nur als grobe Kurzdarstellung).

Eine zu strenge Formalisierung der Logik müsste darin begründet sein, dass dies tatsächlich dazu führt, dass man die Gesetze und die Aussagen aus dem zugrunde liegenden Axiomen-System herleiten kann. Der gödelsche Unvollständigkeitssatz besagt jedoch, dass genug komplexe Systeme diese Eigenschaft nicht besitzen können, wenn sie widerspruchsfrei sind. Und wenn sie nicht widerspruchsfrei sind, dann sind sie unbrauchbar. Also hat auch die mathematische Logik ihre Grenzen. Daher denke ich, dass der Ansatz von Ayatullah As-Sadr vielversprechend ist und meines Erachtens den mehrwertigen Logiken in gewisser Hinsicht ähnelt auch wenn er allgemeiner als diese ist. Er wurde bisher aber nicht genügend untersucht. Man muss auch beachten, dass die klassische Logik auch sehr genau ist. Der Ausschnitt aus dem oben verlinkten Thread hat keine Aussagekraft und ist nicht repräsentativ.

 

Was sind also die Regeln der Logik und die Axiome in Mantiq - jedenfalls darf man vermutlich nicht behaupten, dass diese auf irgendeine Weise "klar" wären, oder jedem Menschen von Geburt an "eingegeben" wären (wie es einige alte griechische Strömungen behauptet hatten).

Es gibt Dinge, die in jedem angeboren sind. Es gibt also ein Kern, den man nicht bestreiten kann.

 

3. Die erstmal letzte und unwichtigste Frage: Welche Werke werden heutzutage in den großen Schulen in Qum/Nadschaf bevorzugt zur Lehre von Mantiq herangezogen, wie modern sind diese Werke im Bezug auf obige Fragen?

Die klassische Logik von Allama Mudhaffar z.B. ist verbreitet. Es gibt aber weiterführende Literatur und wissenschaftliche Arbeiten, die offene Fragen behandeln.

 

Wassalam

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#bismillah#

#salam#

 

zuallererst vielen Dank für deine umfangreiche Antwort!

 

Man soll hier zunächst festlegen, welchen Zweck die Logik verfolgt, damit man weiß, ob es sinnvoll ist, weitere Prinzipien und Mitteln einzuführen oder veraltete Prinzipien und Mitteln raus zu nehmen.

 

Natürlich, der Zweck der mathematischen Logik war zunächst die Grundlegung der Mathematik im ausgehenden 19. Jahrhundert, die im heutigen Sinne gar kein logisches Fundament besaß (natürlich weißt du das Bruder, ich schreibe das nur, damit der Thread lesbar bleibt, auch für Leser, die nicht Mathematik/Informatik studiert haben). Allerdings gibt es eben nicht die Sammlung logischer Regeln zum ableiten neuer Aussagen aus festgelegten Axiomen, sondern offenbar mehrere, die auch in der mathematischen Praxis ihre Verfechter haben, oder besser hatten - der Grundlagenstreit ist längst entschieden, aber nicht aufgrund logischer, sondern eher aufgrund praktischer Erwägungen im Sinne der Einfachheit.

 

Bezogen auf den Islam stellt sich die Frage nach einem System von Ableitungsregeln und nach einem System von Axiomen (vergleichbar der Mengenlehre), etwa eine stringente ausführliche Formulierung der Usul-ad-Din (um irgendwo zu beginnen, vermutlich könnte man auch weiter zurückgehen). Die Einordnung des Qur'ans insgesamt fällt hier etwas schwer, man wird wohl der Qur'an nicht ableiten können, andererseits wäre er als Axiomensystem viel zu kompliziert - vllt. fordert man hier auch unmögliches.

Aus diesem irgendwie gearteten System sollte man dann jedenfalls sauber bekannte andere Grundsätze der Religion ableiten können, oder auch der Philosophie der Eigenschaften Allahs oder vergleichbares. Oder wenigstens sollte man sicher falsche Aussagen formulieren können. Um dies alles aber tun zu können bedarf es der bereits erwähnten Grundlegung der Regeln der Logik und des Axiomensystems.

 

Sayyed Muhammad Baqir As-Sadr hat mit seinem Buch, die logischen Grundlagen der Induktion, ein Pionierarbeit geschrieben. In diesem Buch verwendet er die Wahrscheinlichkeitstheorie und daher auch die Mengenlehre.

 

Das finde ich hoch interessant und würde es sehr gerne mal anschauen, gibt es das Buch in einer guten englischen Übersetzung? Wie heißt der Originaltitel?

 

 

Gleichzeitig muss man drauf achten, die Logik nicht zu einem Teilgebiet der Mathematik zu verwandeln. Im Grunde genommen, sollte die Logik die Mathematik beherrschen und nicht umgekehrt. Denn das Thema der Logik ist das richtige Schlussfolgern. Das Thema der Mathematik ist jedoch die Zahl und die Gesetze, die über sie herrschen. Es mag unter Umständen nicht möglich sein, eine scharfe Trennung zu realisieren aber es sollte stets klar sein, in welchem Umfang die Wechselwirkung stattfindet.

 

Das ist sicher kein so einfaches Thema, weil insbesondere die moderne Mathematik viel mehr umfasst, als nur die Arithmetik. Außerdem ist es kein Zufall, dass die heutigen aktiven Logiker eine mathematische Grundausbildung besitzen (müssen), und logische Schriften für jeden ohne mathematische Ausbildung absolut unlesbar sind. Vielleicht beschreibt das folgende Bild die Wechselwirkung einigermaßen:

Logik und Mathematik verhalten sich zueinander wie die Naturgesetze und ein Hochhaus (samt Architekten), an dem aktiven gebaut wird. Die Naturgesetze bestimmen mit den Bau des Hochhauses, und der angestrebte Bau macht die Erforschung der Naturgesetze notwendig - allerdings werden beide, sowohl Hochhaus, als auch Naturgesetze notwendig in der gleichen Sprache beschrieben. Die Frage ist also, ob es neben der notwendig symbolischen mathematischen Logik auch noch eine "nichtmathematische" Logik geben kann, ich vermute i.W. nicht.

 

Im oben verlinkten Thread wurde nur die Einführung des Buches und dies auch teilweise übersetzt.

 

Danke für die Klarstellung!

 

Eine zu strenge Formalisierung der Logik müsste darin begründet sein, dass dies tatsächlich dazu führt, dass man die Gesetze und die Aussagen aus dem zugrunde liegenden Axiomen-System herleiten kann. Der gödelsche Unvollständigkeitssatz besagt jedoch, dass genug komplexe Systeme diese Eigenschaft nicht besitzen können, wenn sie widerspruchsfrei sind. Und wenn sie nicht widerspruchsfrei sind, dann sind sie unbrauchbar. Also hat auch die mathematische Logik ihre Grenzen.

 

Nach Gödel: Jede in der Sprache des hinreichend komplexen Systems formulierbare Aussage ist nicht ableitbar. Trotzdem ist eine absolut strenge Grundlegung der Mathematik erfolgreich durchgeführt worden (natürlich: falls nicht jemand demnächst einen Widerspruch findet, aber danach sieht es nicht aus ...). Und es ist wohl keine Grenze der mathematischen Logik i.B., sondern einfach jeder Art der Logik (falls es überhaupt i.W. andere Arten gibt). Die gödelschen wahren, aber nicht ableitbaren Aussagen sind ja auch nur unspektakuläre selbstbezügliche Aussagen, überhaupt wird dieser Unvollständigkeitssatz aus einer praktischen Sichtweise wohl völlig überschätzt. Man kann also jedenfalls nicht alles beweisen, aber man sollte doch schauen, was man denn beweisen kann.

 

 

Man muss auch beachten, dass die klassische Logik auch sehr genau ist.

 

Das bleibt für mich offen, insbesondere da ich mir kaum eine genaue Logik vorstellen kann, die nicht dem Muster "Regeln und Axiome -> bewiesene Sätze" folgt, und damit die Regeln und Axiome interpretationsfrei formuliert werden können, muss man wohl doch symbolisch werden?

 

Es gibt Dinge, die in jedem angeboren sind. Es gibt also ein Kern, den man nicht bestreiten kann.

 

Was gehört beispielsweise zu diesen Dingen, im Sinne der Regeln der Logik?

 

#wasalam#

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