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Wenn Diskriminierung Zur Norm Im Kulturkampf Wird


Yamin Naqvi

Empfohlene Beiträge

Von Muslim-Markt am 12. Juli 2007

 

Wenn Diskriminierung zur Norm im Kulturkampf wird

 

Muslim-Markt, 12.7.2007 – Die Diskriminierung von Muslimen in der deutschen Gesellschaft ist inzwischen so weit vorangeschritten, dass viele nicht am eigenen Leib betroffene Menschen es gar nicht mehr merken, weil die Diskriminierung normal geworden ist und die Gleichberechtigung nahezu unangenehm auffällt.

 

Heute findet der Gipfel von dem statt, was die Bundesregierung „Integration“ nennen will. Und es handelt sich wirklich um einen Gipfel, nämlich den bisherigen Gipfel der staatlich verordneten Diskriminierung von Muslimen, was zumindest die wichtigsten beteiligten türkischen Verbände dazu veranlasst hat, nicht an dem Gipfel teilzunehmen. Grund für den Boykott ist, dass faktisch fast alle muslimischen Ehegatten (nicht nur türkische) viel schwerwiegendere Auflagen vor dem Zuzug zum Ehepartner zu erfüllen haben, als z.B. Bürger aus den USA, Australien oder Japan. Während letztere kein einziges Wort Deutsch können müssen, wird von z.B. türkischen Ehepartnern, die zu ihrem Ehegatten ziehen wollen, jene Sprachkenntnis verlangt, falls der in Deutschland ansässige Ehepartner ein Ausländer ist. Ist er hingegen Deutscher, kann er auch z.B. eine Chinesin einfliegen lassen, ohne ihr jemals Deutsch beibringen zu wollen.

 

Nun darf man sich nicht vorstellen, dass jene Länder in irgendwelchen Gesetzen aufgelistet wären. Auf der Zuwanderungsseite des Bundes heißt es zu den Voraussetzungen, dass die

„Beherrschung der deutschen Sprache oder „positive Integrationsprognose““ gegeben sein müssen. Der zweite Teil des Satzes ermöglicht die willkürliche Länderwahl. Es ist davon auszugehen, dass Christen aus der Türkei ebenfalls anders behandelt werden sollen als Muslimas. Im Gesetz selbst heißt es noch viel geschickter, dass jene Sprachanforderung nicht gelte, wenn „der Ausländer wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf.“ Damit soll wohl die Gefahr ausgetrickst werden, dass das Grundgesetz immerhin vorschreibt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. (Artikel 3 (3) GG)“. Darin ist aber ausdrücklich von „Sprache, Heimat und Herkunft“ die Rede. Ganz offensichtlich diskriminiert aber jenes Gesetz bestimmte Menschen bestimmter Sprache, Heimat und Herkunft. Sicherlich werden Juristen das anders interpretieren können und das Bundesverfassungsgericht, dass der Bundesregierung keine Steine im Kulturkampf in die Wege legt, wird eine entsprechende Deutung finden, dass es eben nicht als Diskriminierung zu verstehen sei. Und außer Juristen wird das keiner verstehen.

 

Dass es sich bei jenem Gesetz aber durchaus um nichts anderes als Diskriminierung handelt, und zwar ganz offenbar die bewusste verbale und gesetzliche Diskriminierung von Muslimen – wahrscheinlich als Vorstufe für weitere Diskriminierungen – kann an der Dimension des Problems abgesehen werden, dass damit angeblich gelöst werden soll. 2006 hat es in Deutschland etwa 40000 Einreisevisa mit dem Ziel der Familien-Zusammenführung gegeben. Davon waren nur ein Viertel für Türken bzw. Türkinnen bestimmt. Und Experten gehen davon aus, dass in 4000 Fällen Türkinnen zu ihrem türkischen Mann nach Deutschland übergesiedelt sind. Die Dimension der durch das Gesetz Betroffenen ist im Vergleich zu anderen Zuwanderungsproblemen (z.B. Asyl) geradezu verschwindend! Dass man aber dennoch mit einem Gesetz genau jenes verschwindend kleine Problem „treffen“ wollte, ist zumindest für viele in Deutschland lebende Muslime ein weiterer Beleg für den Kulturkampf, der den Regierungen wohl inzwischen in Mark und Blut übergegangen ist.

 

Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, eine Regelung zu finden, die niemanden derart offensichtlich diskriminiert. Man hätte z.B. ein Gesetz erlassen können, dass eine der EU-Sprachen (in einem definierten Maß) zu beherrschen sei, und jene Regelung hätte man ohne Ausnahme auf alle längerfristig Einreisewilligen anwenden können. Die EU-Bürger hätte es nicht betroffen, die Bürger aus den USA, Kanada und Australien können ohnehin alle englisch, und gebildete Muslime (die z.B. gut Englisch können – auch in der Türkei) hätten ebenfalls problemlos einreisen können. Vor allem aber hätte niemand den Vorwurf einer so klaren und offensichtlichen Diskriminierung aufwerfen können, wie es derzeit der Fall ist.

 

Aber möglicherweise ging es den Machern gar nicht darum, wirklich zu integrieren, sondern um Diskriminierung nach dem Motto: „Muslime ihr habt in Deutschland nichts zu suchen, so lange ihr den Islam nicht abschwört“. Andere Zeichen sind ja ebenfalls offensichtlich, wie das faktische Berufsverbot für Muslimas, die Lehrerin, Anwältin, Polizistin oder Richterin werden wollen.

 

Aber selbst wenn „echte reinrassige Deutsche“ (um in der potentiellen Denkweise so mancher Diskriminierer zu schreiben) einmal Geisel im Ausland werden, liegt offenbar eine Diskriminierung vor. Gestern wurde vermeldet, dass die Deutsche Hannelore Krause – Gott sei Dank – nach langer Geiselhaft im Irak frei gekommen ist. Der deutsche Außenminister bat die Journalisten allerdings darum, nicht zu „spekulieren“, woran sich die Journalisten erstaunlicherweise – im Gegensatz zu anderen Fällen – auch halten. Dabei wären gerade in diesem Fall sehr wichtige Fragen angebracht. Was sind das für merkwürdige muslimische Entführer, die ganz offensichtliche Muslime entführen? Die Mutter trägt Kopftuch, der immer noch in Geiselhaft befindliche Sohn ist mit einer Frau verheiratet, die ebenfalls Kopftuch trägt. Warum kennen Experten jene Gruppen, die es vorher nie gab immer nach der Bekanntgabe des neuen Phantasienamens und wissen dann, das die zu Al-Qaida gehören? Einen gewissen Einfallsreichtum kann man den „Neue-grausame-Muslime-Namen-Erfindern“ jedenfalls nicht absprechen. Warum aber wird dieser Fall nicht mit allen seinen Hintergründen aufgedeckt? Warum wird nicht laut danach gefragt, welche angeblich muslimische Gruppe es mit seinem eigenen Glauben – und gegenüber allen andern Muslimen – es rechtfertigen kann, Muslime zu entführen? Selbst die verbrecherischsten Wahhabiten könnten das nicht vor ihren Anhängern rechtfertigen! Und was ist das für eine merkwürdige Gruppe, die im Irak Deutsche entführt und den deutschen Abzug aus Afghanistan verlangt, da doch der Irak selbst im Chaos versinkt und jeder Iraker sicherlich größere Probleme hat, als deutsche Soldaten in Afghanistan? Und alle „Aktionen“ der Entführer erfolgten sehr zeitnah zu möglichen deutschen Bundestagsentscheidungen. Nein, alle jene Fragen sollen nicht gestellt werden, darum bat die Politik, und es drängt sich der Verdacht auf, dass hier kein Bundesbürger all zu sehr über den Fall nachdenken soll, denn sonst kämen mehr Menschen zu dem Ergebnis, dass es bei den Entführern um ganz andere Leute handelt, als vorgegaukelt werden soll.

 

Während es die Muslime von hiesigen Regierungspolitikern und der Mehrheit von Journalisten schon derart gewohnt sind diskriminiert zu werden, dass sie es selbst schon kaum noch registrieren, schließen sich jetzt immer mehr Intellektuelle jener Diskriminierung an. Jüngste Beispiel ist Wallraff. Er hat vorgeschlagen eine Lesung der „Satanischen Verse“ in einer Moschee durchzuführen, um dann mit Muslimen darüber zu diskutieren. Welch unglaubliche Diskriminierung in diesem Vorschlag steckt dürfte selbst Wallraff nicht bewusst sein, denn sonst hätte er es möglicherweise nicht formuliert. Da sollen also Muslime mit Wallraf darüber diskutieren, welche Bedeutung u.a. darin steckt, wenn die Gläubigen als Freier in Kreisen um die Kaaba herum in Schlangen stehen, um in das Bordell einzugehen, dass von den Frauen des Propheten betrieben wird – natürlich alles nur fiktiv als Roman. Da könnte man ja gleich in einer katholischen Kirche auf dem Altar einen großen Flachbildschirm aufstellen, vor der Gemeinde einen Hard-Core-Porno zeigen, um dann über Pornos im Allgemeinen und die Handlung des speziellen Pornos, der in einer Abtreibung mündet, zu diskutieren. Entsprechende Beispiele für ein Synagoge ersparen wir uns angesichts deutscher historisch bedingter Empfindlichkeiten. Es ist sicherlich nichts dagegen einzuwenden, sachliche Diskussionen auf Basis von Vernunft an geeigneten Orten durchzuführen, aber dazu lädt man ja nie Vertreter einer muslimischen Position ein! Aber eine Lesung aus jenem Buch in einer Moschee verfolgt ganz offensichtlich ein anderes Ziel: Die Demütigung von Muslimen!

 

Es ist inzwischen so natürlich und alltäglich geworden, dass kaum mehr jemand wagt, es zu hinterfragen: Muslime sind zum Abschaum der Menschheit erklärt worden, und fast alle machen mit! Dass die meisten Todesopfer von Kriegen Muslime sind, dass die meisten Flüchtlinge dieser Welt Muslime sind, dass die meisten Opfer von Entführungen Muslime sind, all das wird weder vermeldet noch in die Betrachtung eingebracht. Und dass die meisten mit Abstand meisten Mörder an unschuldigen Menschen dieser Welt derzeit westliche Soldaten sind, wird ebenfall unter den Tisch gekehrt.

 

Wie sagte der Bundespräsident doch sehr zutreffend:

 

„Es gibt kein politisches Ziel, das die Entführung oder die Tötung unschuldiger Menschen rechtfertigt. Keine Religion erlaubt ein solches Vorgehen.“

 

Die Rechtfertigung der Tötung beginnt im Vorfeld mit der Normalisierung von Diskriminierung und Demütigung. In Bezug auf Muslime übertreffen sich diesbezüglich die beiden großen Parteien Deutschlands derzeit gegenseitig.

 

Was aber bis heute bedauerlicherweise die meisten Menschen nicht verstanden haben – oder verstehen wollen – ist der Charakter von Unterdrückung. Er macht nicht halt an bestimmten Grenzen. Diejenigen, die heute so schamlos Muslime diskriminieren, werden morgen andere Gruppen diskriminieren. Wer einstmals die freie Abtreibung bis zum dritten Monat abgenickt hat, der erlaubt heute die Ermordung lebensfähiger 8-monatiger, wenn sie behindert sein können. Wer gestern das Kopftuch verbietet, verbietet heute die Baskenmütze. Wer gestern Soldaten zum Wideraufbau nach Afghanistan schickt, schickt heute Tornados. Wer immer Schulden macht, wird auch in Rekordeinnahmezeiten immer noch Schulden machen.

 

Und morgen?

 

Es gibt kein vernünftiges menschenwürdiges Morgen, ohne dass zur Menschlichkeit zurückgekehrt wird, weder für Muslime noch für alle, die heute auf Muslime in unterschiedliche Weise eindreschen.

 

Noch einmal zurück zu der so wichtigen Aussage des Bundespräsidenten:

 

„Es gibt kein politisches Ziel, das die Entführung oder die Tötung unschuldiger Menschen rechtfertigt. Keine Religion erlaubt ein solches Vorgehen.“

 

Wenn Deutschland allein diesen Grundsatz einhalten würde, dann wären keine deutschen Tornados in Afghanistan, es gäbe keinen Vorwand für Geiselnehmer im Irak, 8-monatige Behinderte würden überleben, und auf Basis dieses Minimums an Menschlichkeit ließen sich dann sicherlich auch die anderen Probleme lösen. Und vielleicht käme man dann auf die Idee, Probleme nicht auf Basis von Demütigung und Diskriminierung lösen zu wollen sondern auf Basis von Vernunft und Kooperation.

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