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Eine Putschstrategie


Hassan Mohsen

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Die Extremisten um Bundesinnenminister Schäuble schüren die Terrorhysterie, um die Grundrechte weitgehend beseitigen zu können

 

 

 

In dem Film »V wie Vendetta« aus dem Jahr 2006 hat sich die älteste Demokratie der Welt in eine Diktatur verwandelt: Im Großbritannien des Jahres 2018 schlägt Big Ben noch brav die Stunden, die BBC sendet weiter Nachrichten und Musik, im ehrwürdigen Parlament streiten Abgeordnete – doch all das ist nur noch Lüge und Fassade. Die alleinige Macht liegt in den Händen der Einheitspartei »Norsefire«, die die Bürger mit umfassender Überwachung und nächtlichen Rollkommandos unter Kontrolle hält. Die christlich-fundamentalistische Diktatur fußt auf Furcht und Propaganda: »Strength through unity. Unity through faith.« Die Bevölkerung wird durch gleichgeschaltete TV-Sender permanent indoktriniert, Schwule sind im KZ, es gibt »Schwarze Listen« verbotener Dinge, auf denen sich der Koran ebenso findet wie Tschaikow­skis »1812«-Ouvertüre und die Bilder von Robert Mapplethorpe. Die Ultra-Evangelikalen kamen in Folge eines Giftgasanschlages mit mehreren tausend Toten zur Macht, der moslemischen Terroristen in die Schuhe geschoben, aber vom eigenen Geheimdienst inszeniert worden war. Die im Film eingespielten Doku-Fetzen von einem Terrorplot in der Londoner Innenstadt könnten Originale sein – aufgenommen am 7. Juli 2005.

 

Alles nur Social fiction? Wie weit sind die westlichen Staaten von dieser Antiutopie entfernt? Während des Präsidentschaftswahlkampfes im Oktober 2000 witzelte George W. Bush: »Wenn wir in einer Diktatur leben würden, wäre es viel einfacher, jedenfalls solange ich Diktator wäre.« Lediglich ein schlechter Scherz? Selbst dem früheren Präsidentenberater John Dean ist es nicht ganz wohl: »Ich bin besorgt, weil ein proto-faschistisches Verhalten zu erkennen ist, ein Verhalten mit faschistischen Grundmustern. – Sind wir deswegen also auf dem Weg in den Faschismus? – Nein. Aber wir sind davon nicht weit entfernt. – Menschen, die davon etwas verstehen, sagen, daß der Faschismus bei uns mit einem lächelnden Antlitz auftritt und uns dazu bewegt, dort freiwillig Rechte aufzugeben, wo wir vielleicht einmal sagen werden: ›Hätten wir das doch nie getan!‹« Energischer die Warnung des US-amerikanischen Bestsellerautors Norman Mailer (»Die Nackten und die Toten«). Er schlug im Jahr 2003 Alarm: »Wir sehen die Vorzeichen drastischer gesellschaftlicher Veränderungen. Wo werden sie enden? Die Antwort lautet: Es könnte eine Form von Faschismus kommen. Allerdings wird es eine banale Ausprägung des Faschismus sein, bis es wieder zu einer Katastrophe kommt. Drei oder vier Attentate wie am 11. September, und Amerika ist ein faschistisches Land.«

Die Notstandsdiktatur

In den letzten Wochen wurde deutlich, daß auch in Deutschland eine Fraktion innerhalb der herrschenden Klasse die Faschisierung nach US-Vorbild betreibt. Antreiber und Stichwortgeber dieser Entwicklung ist Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU).

 

Sein konstantes Tremolo für einen Abbau demokratischer Grundrechte hat bisher bereits dazu geführt, daß eine wichtige Lehre aus der Zeit der Nazidiktatur, die die Väter des Grundgesetzes in unserer Verfassung verankert hatten, beseitigt wurde: Die strikte Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten wurde im Herbst 2006 aufgehoben durch die Etablierung einer zentralen Terrordatei, auf die alle Sicherheitsdienste Zugriff haben. Die weiteren Pläne – Schnüffelei in persönliche Computerfestplatten, neuer Personalausweis mit verstecktem Datenchip, flächendeckende Videoüberwachung mit automatischer Gesichtserkennung – würden dazu führen, daß es keine Privatsphäre mehr gibt. So entsteht nach dem Vorbild der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) eine Geheime Datenpolizei (Gedapo).

 

Eine weitere Zäsur wird unter dem Stichwort »Bundeswehreinsätze im Innern« diskutiert, tatsächlich aber geht es um viel mehr. Denn solche Einsätze sind nach Maßgabe der 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze bisher schon möglich. Dort heißt es, die Bundesregierung könne im Bedarfsfall »Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und der Bundespolizei beim Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer« (Artikel 87a Abs. 4 GG) einsetzen. Allerdings muß dieser Bedarfsfall mit Zweidrittelmehrheit vom Bundestag (oder dem Gemeinsamen Ausschuß, einer Notfallvertretung, in der die Parteien im selben Proporz vertreten sind) festgestellt werden. (In Frage kommen die Kategorien Verteidigungsfall, Spannungsfall, innerer Notstand oder Katastrophenfall.) Weiterhin heißt es in Artikel 87a einschränkend: »Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen«.

 

 

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Die ganze angebliche Verschwörung um Tolga D. und Fritz G. war eine Inszenierung der US-amerikanischen Geheimdienste. »Die Operation begann im vergangenen Oktober, nachdem der amerikanische Abhördienst NSA im Internet verdächtige E-Mails zwischen Deutschland und Pakistan abgegriffen hatte«, wußte der Spiegel. Mit diesen zusammengebastelten Erkenntnissen wurden die deutschen Behörden gefüttert und zum gemeinsamen Vorgehen gedrängt. Die Operation »Alberich«, so der Codename für die größte Fahndung seit dem »Deutschen Herbst« 1977, wurde »nicht nur in Berlin, sondern auch in Washington geführt«, schrieb der Spiegel weiter. Die Kooperation sei so »eng wie nie gewesen«, brüstete sich US-Heimatschutzminister Michael Chertoff. »Beständig wurde der Druck erhöht; mal sprach CIA-Chef Michael V. Hayden in der Sache in Berlin vor, mal der amerikanische Botschafter William R. Timken. Chertoff persönlich reiste Anfang Juni nach Gengenbach, in Wolfgang Schäubles Heimatort. (...) Spontan berief das Kanzleramt die sogenannte Sicherheitslage zusammen, in dieser Besetzung erstmals seit dem 11. September 2001.« Anfang Juni habe Präsident W. Bush die Bundeskanzlerin am Rande des G-8-Gipfels noch zusätzlich ins Gebet genommen.

 

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Schäuble und Jung brauchen zur Durchsetzung ihrer Ziele die Terrorwarnung in Permanenz, und, falls das nicht reicht, irgendwann auch einen echten Anschlag. Man kann nur hoffen, daß es in den Sicherheitsapparaten noch genug verantwortungsvolle Beamte gibt, die einen zweiten Reichstagsbrand rechtzeitig verhindern. Hoffnung macht immerhin, daß entschiedener Protest gegen die Verfassungsbrecher nicht nur aus der Linken kam, sondern auch von den Liberalen, den Grünen, Teilen der SPD und vom Bundeswehrverband. Notwendig wäre die Zusammenführung dieser Opposition in einer Eisernen Front – unter diesem Titel sammelten sich die Verteidiger der Weimarer Republik zu Beginn der dreißiger Jahre. Die Demonstration der fünfzehntausend am vergangenen Sonnabend in Berlin gegen die neuen Überwachungsgesetze ist ein erster Schritt in diese Richtung, reicht aber nicht aus. Die Gefahr bleibt bestehen, solange die Führer der Putschfraktion nicht ihrer Ämter enthoben sind.

 

Quelle:

http://www.jungewelt.de/2007/09-26/007.php

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