Zum Inhalt springen

»Wir wollen keinen islamischen Staat«


Empfohlene Beiträge

#bismillah#

#salam#

 

»Wir wollen keinen islamischen Staat«

 

Gespräch mit Dr. Ali Fayyad. Über die prekäre Lage im Libanon, amerikanisch-zionistische Kriegsgelüste, die Unterstützung der Widerstandskräfte im Irak und den Allmächtigen und Erhabenen

Interview: Werner Pirker

 

Dr. Ali Fayyad ist Mitglied des Politischen Büros der Hisbollah

 

Droht die gegenwärtige Situation im Libanon zum Bürgerkrieg zu eskalieren?

 

 

Das glaube ich nicht. Die Situation wird weiterhin äußerst angespannt bleiben, aber sich nicht in einen Bürgerkrieg entladen. Vor allem deshalb, weil die Hisbollah und ihre Alliierten einer solchen Zuspitzung entgegenwirken. Wir sind die stärkeren. Wenn die anderen den Bürgerkrieg wollen, werden sie verlieren. Das ergibt sich aus der sozialen und politischen Lage im Land. Es wird keine schnelle Lösung geben. Der Grund dafür liegt im Verhalten der USA, die ihren Verbündeten nicht erlauben, auch nur den geringsten Kompromiß einzugehen. Wir haben eine Menge von Vorschlägen, die auf der Logik »Keine Sieger, keine Verlierer« beruhten, gemacht. Wir wollten das Parlament neu wählen lassen. Die Amerikaner und die von ihnen abhängigen libanesischen Kräfte wissen aber, daß bei Neuwahlen die Opposition gewinnen und die Regierung stellen würde. Ich nehme an, daß diese Situation bis zum Ende der Bush-Administration andauern wird. Keines der beiden Lager kann eine Zweidrittel-Mehrheit erobern, die es ihm ermöglichen würde, das Land allein zu regieren. Darin liegt die Ursache der anhaltenden Krise .

 

Die Hisbollah will den Bürgerkrieg vermeiden und die anderen können ihn nicht gewinnen, sollten sie ihn anzetteln. Aber sie verfügen über das Machtmittel des religiösen Sektierertums, vor allem unter der sunnitischen Bevölkerung.

 

Das positive an der gegenwärtigen Entwicklung im Libanon liegt darin, daß die gesellschaftliche Spaltung nicht primär entlang religiöser Trennlinien erfolgt, sondern eine politische ist. Die Mehrheit der Sunniten unterstützt die proamerikanische »14. März«-Koalition. Aber 40 Prozent sind für die Opposition. Wir werden auch von ungefähr 30 Prozent der Drusen unterstützt. Und von 70 Prozent der Christen. Das liegt daran, daß die Nationale Patriotische Bewegung von General Aoun, einem maronitischen Christen, mit uns verbündet ist. Wir wissen zudem 95 Prozent der Schiiten auf unserer Seite. Man kann uns also nicht als eine sektiererische Gruppierung unter anderen bezeichnen. Wir sind eine politische Kraft mit einer gesellschaftlichen Perspektive. Sicher darf man das Problem der konfessionellen Spaltung nicht unterschätzen. Aber es wird sukzessive überwunden. Das macht die Soziologie unserer gegenwärtigen Situation aus.

 

Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen der schiitischen Hisbollah und der laizistischen libanesischen Linken, insbesondere der Kommunistischen Partei Libanons?

 

Die Kommunistische Partei ist unser Verbündeter, mit dem wir besonders gute Beziehungen pflegen. Darüber hinaus sind alle traditionellen Linken, die Nasseristen, Baathisten und andere Gruppen mit uns in Aktionseinheit verbunden. Im Westen mag man das als seltsam empfinden, daß nationalistische und linke Gruppierungen in einem Bündnis mit Islamisten stehen und von diesen sogar geführt werden. Für die arabische Welt könnte das zu einem durchaus tragfähigen Modell werden. Es zeigt eine Möglichkeit auf, unter Zurückstellung politischer und ideologischer Meinungsverschiedenheiten auf ein gemeinsames nationales Ziel hinzuarbeiten. In der arabischen Welt lautet heute die Hauptfrage: Bist du für oder gegen den Imperialismus? Bist du für oder gegen den Widerstand? In diesem Geist gestalten wir unsere Bündnispolitik.

 

Unter welchen Zielvorstellungen führt die Hisbollah ihren Kampf?

 

Das wäre zuerst einmal die Befreiung unserer Territorien von der israelischen Besatzung. Des weiteren wollen wir die Freilassung unserer Gefangenen aus israelischer Gefangenschaft bewirken. Die Hisbollah will einen unabhängigen libanesischen Staat, der völlig frei von amerikanischer Einflußnahme ist. Im Inneren treten wir für eine Reform des libanesischen politischen Regimes ein. Wir wollen einen wirklich demokratischen Staat, das heißt keinen auf der Macht der Religionsgemeinschaften und dem sich daraus ergebenden religiösen Proporz beruhenden Staat. Die Hisbollah will auch keinen islamischen Staat im Libanon.

 

Es wird behauptet, die Hisbollah bilde einen Staat im Staat.

 

Das ist Teil der Propaganda gegen uns. Es stimmt, daß die Hisbollah über einen gewissen ökonomischen Rückhalt verfügt, daß sie soziale Einrichtungen betreibt und Medien unterhält. Doch das ist im Libanon nichts besonderes. Wir haben einen schwachen Staat und stellen uns die Verpflichtung, den armen Leuten zu helfen. Die Hisbollah macht aus der Not eine Tugend. In einer reichen Gesellschaft müßte sie das nicht tun.

 

Die demokratische Idee bezieht sich auf die Volkssouveränität. Der Islam ist die transzendentalste unter den Religionen mit dem absolutesten Gottesbegriff. Verträgt sich eine auf islamischen Vorstellungen beruhende Gesellschaftstheorie mit Demokratie und erst recht mit einer sozialistischen Auslegung des Demokratiebegriffs?

 

Ich bin Sozialist und vertrete keine absolutistische Interpretation des Islam. Auf Glaubensfragen möchte ich auch nicht näher eingehen. In der politischen Praxis empfiehlt es sich, eine Trennung vorzunehmen: In die in der Religion begründete Souveränität und in die Volkssouveränität. Der politische Diskurs im Libanon ist anders als der im Iran, wo das Politische dem Religiösen untergeordnet ist. Der Libanon ist eine pluralistische Gesellschaft. Hier gibt es eine Menge unterschiedlicher Religionsgemeinschaften. Der Libanon und ihm ähnliche Gesellschaften werden nur auf einer demokratischer Grundlage existieren können.

 

Die Qualität eines politischen Systems hängt letztendlich davon ab, in welchem Maße es die wesentlichen Bedürfnisse der Gesellschaft bedienen kann. Das System der Islamischen Republik Iran hat seine Funktionstüchtigkeit hinreichend unter Beweis gestellt. Es ist eines der stabilsten in der Region und das unabhängigste. Aber auf den Libanon wird es sich aufgrund völlig anderer historischer Voraussetzungen und nationaler Eigenschaften nicht übertragen lassen.

 

Man sagt, daß die von den USA unterstützte Attacke Israels auf den Libanon in einem Zusammenhang mit der aggressiven Politik gegenüber dem Iran steht. Was meinen Sie dazu?

 

Es gibt eine Aggressionslinie, die sich von Gaza über den Libanon, Syrien, Irak bis zum Iran zieht. Für die US-Administration stellen diese nahöstlichen Konfliktherde eine Einheit dar. In den nächsten Monaten könnte die Entscheidung fallen. Die Amerikaner werden alles versuchen, um die Gesamtsitua­tion in der Region zu ihren Gunsten zu verändern. Die Frage ist nur, wann und wo sie in Aktionseinheit mit den Israelis angreifen werden: Im Gazastreifen gegen die Hamas oder werden sie Syrien angreifen oder wird sich der Angriff direkt gegen das Zentrum der nahöstlichen »Achse des Bösen«, den Iran, richten? Wir vermuten, daß in den nächsten zwei Monaten irgendwo der Krieg ausbricht. Und wir befürchten, daß sie uns als das schwächste Kettenglied betrachten und uns wieder angreifen werden. Aber erinnern wir uns an den Sommer-Krieg vor zwei Jahren, der die Hisbollah ziemlich unerwartet getroffen hat: In seinem Ergebnis haben sich die Nahost-Realitäten stark zuungunsten der USA und Israels verändert. Was den Iran betrifft, ist die Kriegsgefahr tatsächlich sehr groß. Die Israelis drängen auf einen Krieg solange Bush noch im Amt ist.

 

Bereitet sich die Hisbollah auf einen neuen Krieg vor?

 

Wir ziehen alle möglichen gefährlichen Szenarien in Betracht und bereiten uns auf den Kriegsfall vor. Dazu gehört auch die Aufarbeitung unserer Erfahrungen aus dem Sommerkrieg 2006 und eine kritische Analyse der Schwachstellen unserer damals verfolgten Strategie.

 

Im Irak gibt es eine von Schiiten dominierte Regierung. Unterhält die schiitische Hisbollah Beziehungen zu ihr?

 

Wir haben keinerlei Beziehungen zur Regierung der Kollaborateure. Die Hisbollah unterstützte von Beginn an den irakischen Widerstand. Wir haben die US-Aggression gegen den Irak verurteilt und hoffen auf einen völligen Zusammenbruch des Okkupationsregimes. Das Problem im Irak ist, daß es sehr viele Widerstandskräfte gibt und diese oft gegeneinander agieren. Wir verurteilen jede Form von Widerstand, der sich gegen Zivilisten richtet. Ebenso halten wir einen Widerstand für verfehlt, der auf religiösem Sektierertum beruht. Die Hisbollah blickt auf eine lange Widerstandstradition im Südlibanon gegen die israelische Okkupation zurück. Dabei hat sie es immer vermieden, Zivilisten zu attackieren, weil das nur den Besatzern genützt hätte.

 

Es sind bewaffnete Konflikt zwischen den schiitischen Milizen von Muqtada Al-Sadr und den Regierungstruppen ausgebrochen. Bedeutet das eine neue Stufe im Aufstand gegen die Besatzer und ihre Handlanger?

 

Wir betrachten die Leute Al-Sadrs als Widerstandskämpfer und unterhalten auch Beziehungen zu ihnen. Es ist aber nicht unsere Art, uns in irakische Angelegenheiten einzumischen, zumal diese auch äußerst kompliziert sind. Unsere grundsätzliche Orientierung lautet: Unterstützung des gegen die Besatzung gerichteten Widerstandes. Angriffe von Besatzungsgegnern auf Zivilisten führen zum Desaster. Und sie führen zur Spaltung des Landes. Es geht nämlich nicht nur darum, die Besatzer zu vertreiben, sondern auch den Irak als einheitlichen Staat zu erhalten und ihn nicht zu teilen, wie das die Amerikaner wünschen.

 

Ein in Widerstandskreisen vertretenes irakisch-sunnitisches Narrativ lautet, daß es ein amerikanisch-iranisches Komplott gegen den Irak gebe. Glauben Sie, daß es unter den irakischen Sunniten Kräfte gibt, die eine Brücke zum schiitischen Widerstand, der nicht minder sektiererisch ist, schlagen könnten?

 

Ich glaube fest daran, daß dies möglich ist. Die Hisbollah hat gute Kontakte zu sunnitischen Gruppen. Es machen sich zunehmend Kräfte bemerkbar, die auf eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Widerstandsfaktoren orientieren. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, alle Anstrengungen auf ein nationales Ziel zu konzentrieren, in diesem Fall auf die Befreiung des Irak von der Fremdherrschaft.

 

Quelle

 

 

#salam#

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Deine Meinung

Du kannst jetzt schreiben und Dich später registrieren. Wenn Du ein Benutzerkonto hast, melde Dich bitte an, um mit Deinem Konto zu schreiben.
Hinweis: Dein Beitrag muss vom Moderator freigeschaltet werden, bevor er sichtbar wird.

Gast
Auf dieses Thema antworten...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung jetzt entfernen

  Nur 75 Emojis sind erlaubt.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Editor leeren

×   Du kannst Bilder nicht direkt einfügen. Lade Bilder hoch oder lade sie von einer URL.

  • Wer ist Online   0 Benutzer

    • Keine registrierten Benutzer online.
×
×
  • Neu erstellen...