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»Fundamentalismus«


André

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Fundamentalismus

geistige Haltung, Anschauung, die durch kompromissloses Festhalten an [ideologischen, religiösen] Grundsätzen gekennzeichnet ist [und das politische Handeln bestimmt]

 

Die gedankenlose Verwendung des Wortes „Fundamentalismus“ in den Medien zur Bezeichnung aller möglichen militanten und revolutionären Gruppen und Bewegungen in der islamischen Welt hat den Begriff jeder präzisen Bedeutung entleert, so daß er zu einem nichtssagenden Etikett geworden ist. Der ursprünglich religionswissenschaftliche Begriff ist zudem zur Kennzeichnung der modernen Formen des politischen Islam gänzlich ungeeignet; die Übertragung eines religionswissenschaftlichen Terminus in die politische Sphäre ist problematisch. Im Bereich der Schia läßt sich das am besten deutlich machen. Daß die schiitischen Revolutionäre „Fundamentalisten“ seinen gilt allgemein als ausgemacht. Wahrscheinlich ist die vage Vorstellung, die hinter dieser Kennzeichnung steht, die, daß die Errichtung einer islamisch legitimierten Staats- und Gesellschaftsordnung an sich schon „fundamentalistisch“ sei. Fundamentalismus im ursprünglichen, strengen Sinne ist jedoch etwas anderes: es ist die Einschränkung der verbindlichen Wahrheit auf den strikten Wortlaut der Offenbarung oder Überlieferung, und auf nichts als diesen. Pietistische Protestanten, katholische „Kreationisten“ und Zeugen Jehovas, die allesamt den Text der biblischen Schöpfungsgeschichte wortwörtlich nehmen und gegen die wissenschaftliche Theorie der Evolution ins Feld führen, sind Fundamentalisten; auch die schiitischen Akhbaris, die den Idschtihad verwerfen, sind Fundamentalisten, aber die Usulis, die die Verfechter des Idschtihad, des verantwortlichen Argumentierens und Schließens, sind das genaue Gegenteil davon. Heute folgt die große Mehrheit der Mollas und Ayatollahs der rationalistischen Schule; sie sind Räsonierer, und damit das genaue Gegenteil von „Fundamentalisten“, denn sie hängen eben nicht allein am Wortlaut der Schrift und der überlieferten Aussprüche der Imame, sondern sichern sich durch den Einsatz der Ratio einen viel weiteren Spielraum für ihre Entscheidungen.

 

Der Ursprung des Begriffs

Der Begriff "Fundamentalismus" bezeichnete ursprünglich eine konservative Richtung des US-Protestantismus. Er geht zurück auf die Schriftenreihe (1910-1915): "The Fundamentals: A Testimony to the Truth", in denen der zeitgenössische liberale Bibelglauben abgelehnt und die Rückkehr zur wörtlichen Auslegung der Bibel propagiert wird.http://www.oocities.org/athens/parthenon/6528/fundcont.htm
Zu den Autoren gehörten namhafte konservative Theologen wie Benjamin Breckinridge Warfield. Die fünf wesentlichen Punkte ihrer Haltung wurden 1910 von der Generalkonferenz der presbyterianischen Kirche zusammengefasst: http://people.ucalgary.ca/~nurelweb/evang/packer/fundi-1.html
die Irrtumslosigkeit und Autorität der Bibel
die Gottheit Jesu Christi
die Jungfrauengeburt und Wunder
sein Tod für die Sünden der Menschen
seine leibliche Auferstehung und seine Wiederkunft
fundamentals.jpg
Die in den Fundamentals vertretene Haltung genügt nicht, um den christlichen Fundamentalismus trennscharf zu definieren. Von anderen Strömungen unterscheidet sich der christliche Fundamentalismus durch eine biblizistische Auslegung der Bibel, die so eng mit dem Heilsglauben verbunden ist, dass andersdenkenden Christen ihr Christsein abgesprochen wird. Ergänzend kommen dazu einekonservative politische Haltung und der Wille, religiös begründete Überzeugungen auch politisch durchzusetzen.
Im populären Sprachgebrauch werden unter dem Begriff Fundamentalismus zuweilen unterschiedslos konservative religiöse Gruppen, gewalttätige Mitglieder einiger Volksgruppen mit mehr oder weniger religiöser oder religiomorpher Motivation oder Terroristen zusammengefasst. Auch diese Unschärfe macht diesen Begriff problematisch.
So schreibt der Historiker Hartmut Lehmann: Bisher ist offen, ob der Begriff Fundamentalismus zu mehr taugt als zu Polemik.Obwohl es unter den genannten Gruppentypen Überschneidungen gibt, lassen sie sich nicht prinzipiell gleichsetzen. Auch büßt der Begriff an Bedeutung ein, wenn nicht auf die jeweiligen Fundamente Bezug genommen wird. Fundamentalisten charakterisiert man im allgemeinen dadurch, dass sie sich auf bestimmte konkrete Grundlagen (oder das, was sie darunter verstehen) ihrer Religion (oder gelegentlich auch im weiteren Sinne verwendet: ihrer Partei, Ideologie) beziehen und darüber keine Diskussion zulassen. Mit dem Begriff können Intoleranz, Radikalismus und auch daraus entstehende Gewaltbereitschaft suggeriert werden, wobei dies teilweise dem geäußerten Selbstverständnis der Gruppe entspricht, teilweise nicht.
Abweichend von seiner ursprünglichen Beschränkung auf religiöse Dogmen wird der Begriff auch auf säkulare Ideologien bezogen. Dies geht auf einen formalen Fundamentalismusbegriff zurück, nach dem eine soziale Bewegung als fundamentalistisch einzustufen ist, wenn sie ihre religiöse, ethnische oder ideologische Orientierung absolut setzt und zugleich expansiv um die Kontrolle eines ihr übergeordneten gesellschaftlichen Machtzentrums kämpft. Entsprechend wird - meist kritisch oder abwertend - von grün-alternativem Fundi oder Marktfundamentalismus gesprochen.
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